Pressemitteilung
Das Schweizer Suchtpanorama 2025 / Das Geschäft mit der Sucht: Wo bleibt die gesellschaftliche Verantwortung?

04.03.2025, Alkoholische Getränke, Tabak- und Nikotinprodukte, Glücks- und Geldspiele oder Videospiele bringen den betroffenen Branchen milliardenschwere Umsätze. Die Industrien haben ein enormes Interesse, wenn es darum geht, gesundheitspolitisch motivierte Gesetzesvorhaben abzuschwächen oder abzuwehren. Dazu kommen die Schwarzmärkte mit illegalen Substanzen.
Einen grossen Teil des Umsatzes macht die Suchtmittelindustrie auf dem Buckel von Menschen mit problematischem Konsum und ihren Angehörigen. Deren Leid ist nicht akzeptabel, umso mehr als dass dies auch hohe Kosten für die Allgemeinheit bedeutet: Die letzten Schätzungen gehen von volkswirtschaftlichen Kosten für Sucht von jährlich 7,9 Milliarden Franken aus. Zudem besteht eine heikle Verknüpfung zwischen den Einnahmen aus dem Tabak- und Alkoholkonsum resp. dem Glücks- und Geldspiel mit der Finanzierung der AHV, des Sports oder der Kultur.
Sucht hält im Konsum gefangen und führt bei vielen Betroffenen zur Einschränkung ihrer Autonomie im täglichen Leben. Anders als bei gewöhnlichen Konsumgütern kann bei Suchtmitteln der freie (Kauf-)Wille mit der Zeit eingeschränkt sein. Je nach Schädlichkeit des Produkts oder der Aktivität sind physische, psychische und finanzielle Schäden die Folge.
Der problematische Konsum und Suchtprobleme führen auch zu tiefgreifenden gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden, welche die Allgemeinheit trägt. Deshalb muss ein Ziel der Politik sein, die Suchtentwicklung zu verhindern.
Sucht als Geschäftsmodell
Die Suchtmittelindustrie und die Anbieter von Aktivitäten, die Sucht generieren können, schöpfen (absichtlich oder nicht) einen grossen Teil ihrer Gewinne dank Kunden, die einen problematischen Konsum oder ein problematisches Verhalten aufweisen, wie es sich in verschiedenen Bereichen zeigt:
Tabak und Nikotinprodukte: Nikotin ist eine der am stärksten abhängig machen- den Substanzen.
Der grösste Teil des Einkommens der Tabakindustrie stammt von Menschen mit Nikotinabhängigkeit.
Deshalb ist das erste Ziel dieser Indus- trie, die Nikotinabhängigkeit der Kunden aufrechtzuerhalten.
Das Projekt der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA), den Nikotingehalt in
Zigaretten zu senken, hatte deshalb im Jahr 2018
Glücks- und Geldspiele: Bereits vor der Zulassung von Onlinegeldspielen in der Schweiz im Jahr 2019 stammten 31 % der Einnahmen der Geldspielanbieter von den 5 % der Spielenden mit problematischer Nutzung.
Alkohol: Etwa 4 % der Bevölkerung trinkt hierzulande rund einen Viertel des gesamten Alkohols. Ein erheblicher Teil des Umsatzes wird mit Menschen generiert, die einen besonders problematischen Konsum aufweisen.
Videospiele: Das Geschäftsmodell der Mikrotransaktionen ist heute das dominierende Modell der Videospiel-Industrie. Bei diesen, darunter insbesondere bei den sogenannten Lootboxen, wird vermutet, dass sie zur Entwicklung einer Videospielsucht beitragen und die Nutzenden dauerhaft an ihre Produkte zu binden, damit sie weiterhin im Spiel Geld ausgeben.
Cannabis: Nach einer Waadtländer Studie wird geschätzt, dass die 10 % der Konsumierenden, die (fast) täglich Cannabis konsumieren, die Hälfte des in der Waadt konsumierten Cannabis verbrauchen. Im Fall einer marktliberalen Neuregulierung wären diese (und auch neue Konsumierende) eine wichtige Zielgruppe für die Industrie.
Volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden
Die Schäden durch Sucht sind enorm. In der Schweiz sterben jährlich mehr als 10 000 Menschen aufgrund von Suchtmitteln und die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf mindestens 7,9 Milliarden Franken pro Jahr (vgl. Fischer et al. 2021). Diese Kosten tragen nicht die Produzenten, sondern die Gesellschaft als Ganzes. "Es ist nicht akzeptabel, dass Gewinne privatisiert und die Schäden auf die Allgemeinheit abgewälzt werden", betont Tania Séverin, Direktorin von Sucht Schweiz. Zwar profitieren vor allem die AHV, aber auch die Bundeskasse, die Kultur und der Sport von Steuerabgaben und Ausschüttungen von rund 3,5 Milliarden Franken pro Jahr. Doch diese Verknüpfung ist heikel, da sie als Argument zum Widerstand gegen die Gesundheitspolitik werden kann.
Die starke Rolle der Anbieter und der Lobbyarbeit
Weil es um ein Milliardengeschäft geht, bekämpft die Suchtmittelindustrie politische Massnahmen zur Regulierung und Suchtprävention meist erfolgreich. Die Unternehmen investieren kolossale Summen in Lobbyarbeit und Rechtsstreitigkeiten, um strengere Vorschriften abzuschwächen oder zu verhindern. Und wie beim Tabak und beim Geldspiel verweist die Industrie trotz massiver Promotion ihrer Produkte auf die Selbstverantwortung der Konsumierenden und die Selbstregulierung der Industrie.
Die Gesundheit muss Priorität haben
Die öffentliche Gesundheit muss oberste Priorität haben, vor der Gewinnmaximierung von einzelnen Industrien. Dabei kann sich die Schweiz an den erfolgreichen Regulierungen in Europa oder bezüglich des Cannabis in Quebec orientieren. Welches sind die drängendsten Handlungsfelder, um Sucht zu verhindern?
Schutz der Jugend: Je früher ein regelmässiger Konsum einsetzt, desto grösser ist die Gefahr, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Der Konsumeinstieg sollte daher verhindert oder zumindest hinausgezögert und der regelmässige Konsum verhindert werden. Beim Tabak und anderen Nikotinprodukten müssen Menthol und andere Einsteigehilfen verboten werden. Im Onlinebereich muss der Zugang von Kindern und Jugendlichen besser reguliert werden.
Werbebeschränkungen: Werbung, die Jugendliche erreicht und solche, die einen attraktiven Lebensstil mit Suchtmitteln vorgaukelt, darf nicht länger zulässig sein.
Preispolitik: Mindestpreise und steuerliche Massnahmen, die sich am Gehalt von Suchtmitteln (z. B. Alkohol, Nikotin) orientieren, könnten den problematischen Konsum verringern.
Reduzierung von suchtfördernden Elementen: Über eine Reduktion des Nikotingehalts in entsprechenden Produkten sollte nachgedacht werden, die Gaming-Industrie muss klare Vorschriften zur Begrenzung von "Addiction Design" umsetzen, und Glücks- und Geldspiele benötigen strengere Regulierungen (z.B. im Bereich Player-Tracking und Werbung) und eine schnellere Sperrung illegaler Geldspielwebsites, um eine problematische Nutzung zu verhindern.
Cannabisregulierung: Heute steht die Gesellschaft vor der historischen Aufgabe, den Cannabismarkt zu regulieren - und zwar so, dass die Gesundheit der Konsumierenden oberste Priorität hat. Dies geht nur mit einem nichtgewinnorientierten Markt und einem Fokus auf der Produktsicherheit.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Alkohol
Der tägliche Alkoholkonsum geht zwar zurück, aber das Rauschtrinken bleibt auf zu hohem Niveau. 12 % der Bevölkerung (15+) trinkt hierzulande die Hälfte des gesamten Alkohols - mit entsprechenden gesundheitlichen Folgeproblemen und über 1 500 Todesfällen pro Jahr. Bei rund der Hälfte der untersuchten Gewaltdelikte im öffentlichen Raum ist Alkohol im Spiel. Trotzdem bleibt die Politik untätig, um problematischem Konsum vorzubeugen. Die Verantwortung wird einseitig den Konsumierenden auferlegt. Dies kommt der Gesellschaft mit jährlichen Kosten von 2,8 Milliarden Franken teuer zu stehen.
Tabak- und Nikotinprodukte
Bei der Umsetzung der Volksinitiative "Kinder ohne Tabak" spielt die Industrie ihren Einfluss im Parlament weiterhin aus und sucht nach Schlupflöchern für die Werbung. Doch jede Art von Werbung, die Kinder und Jugendliche erreicht, ist gemäss Verfassung verboten. Der Volkswille hat Vorrang vor finanziellen Interessen einer Industrie, welche die Jugend in die Abhängigkeit treibt.
Elektronische Einwegzigaretten sind bewusst für Jugendliche konzipiert und verbreiten zu einem grossen Teil deswegen den Nikotinkonsum unter dieser Zielgruppe. Um die Kinder und Jugendlichen zu schützen, braucht es unverzüglich ein nationales Verbot. Hier gehen die Kantone bereits voran.
Cannabis und andere illegale Drogen
In Kürze wird das Parlament einen Cannabis-Gesetzesentwurf beraten, der auf den ersten Ergebnissen der Pilotversuche basiert. Diese weltweit einzigartige Ausgangslage könnte zur Verabschiedung eines Regulierungsmodells führen, in dem der Gesundheitsschutz Priorität hat. Falls diese Vorlage jedoch abgelehnt würde, könnte dies zu einer neuen Legalisierungsinitiative führen, die dem Jugend- und Gesundheitsschutz weniger Gewicht geben würde.
Die Situation des Drogenkonsums und - handels im öffentlichen Raum bleibt angespannt. Im Rahmen der Vier-Säulen-Politik wurden nun teils beträchtliche Mittel für die Stärkung der bestehenden Massnahmen investiert, was aber nicht überall genügt. Neue Ansätze sind zu prüfen, die den Betroffenen helfen und die Situation im öffentlichen Raum beruhigen.
Psychoaktive Medikamente
Die Verkaufszahlen von Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie opioidhaltiger Schmerzmittel bleiben zwar seit einigen Jahren relativ stabil. Doch gleichzeitig begeben sich seit einigen Jahren zunehmend junge Menschen unter 25 Jahren mit problematischem Konsum von Schlaf- und Beruhigungsmitteln in Behandlung, in jüngster Zeit betrifft dies auch opioidhaltige Schmerzmittel.
Zudem scheinen Menschen in Situationen erhöhter Vulnerabilität besonders exponiert zu sein: Betagte, Alters- und Pflegeheimbewohner:innen, Asylbewerber:innen und Häftlinge.
Glücks- und Geldspiel
45 % der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren haben in den letzten 12 Monaten an einem Glücks- und Geldspiel teilgenommen, Lotterien werden dabei am meisten genannt. 4,3 % der Bevölkerung (15+) weisen im Jahr 2022 eine problematische Nutzung von Glücks- und Geldspielen auf. Höhere Risiken für eine problematische Nutzung finden sich bei Onlinespielen sowie Automatenspielen und Sportwetten.
Junge Männer sind besonders betroffen. Gleichzeitig sind die Jugendlichen massiver Werbung ausgesetzt, vor allem auch von illegalen ausländischen Anbietern. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, das Marketing zum Schutz der Spielenden einzugrenzen.
Die Geldverluste der Spielenden nahmen weiter auf über zwei Milliarden Franken zu. Geldspielschulden sind eines der Hauptthemen bei Schuldenberatungen.
Online-Aktivitäten
Soziale Medien und Videospiele haben viele positive Aspekte. Sie sind aber auch kommerzielle Räume, die manipulative Mechanismen enthalten. Dazu zählen Algorithmen, die Daten über das Verhalten der Nutzenden gebrauchen - mit dem Risiko, in Bezug auf Ausgaben und Nutzungszeiten manipuliert zu werden. Dazu kommen Designs mit Glücks- und Geldspiel-Elementen. Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit boomt: etwa 7 % der Bevölkerung ab 15 Jahren sind von problematischer Nutzung von Online-Diensten betroffen.
Angesichts des gezielt süchtig machenden Designs gewisser digitaler Produkte müssen Massnahmen dagegen ergriffen werden.
Pressekontakt:
Monique Portner-Helfer
Mediensprecherin
021 321 29 74
Markus Meury
Mediensprecher
021 321 29 63
--- ENDE Pressemitteilung Das Schweizer Suchtpanorama 2025 / Das Geschäft mit der Sucht: Wo bleibt die gesellschaftliche Verantwortung? ---
Über Sucht Schweiz
Sucht Schweiz will Probleme im Zusammenhang mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen und Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial verhindern oder vermindern.
Wir fördern die gesellschaftliche Debatte im Suchtbereich. Wir entwickeln und verbreiten wissenschaftliche Erkenntnisse, die es erlauben, die zugrundeliegenden Probleme zu verstehen, ihnen vorzubeugen und angemessen zu begegnen. Wir setzen uns für wirksame Massnahmen und politische Rahmenbedingungen zur Problemreduktion ein. Wir engagieren uns für ein Umfeld, das den Menschen eine gesunde Lebensweise erleichtert und die individuellen Gesundheitskompetenzen stärkt. Dabei kombinieren wir Massnahmen der Suchtprävention und der Gesundheitsförderung.
Wir unterstützen all jene mit besonderen Risiken – Kinder und Jugendliche sowie Menschen in kritischen Lebensphasen. Betroffenen und Nahestehenden stehen wir informierend, beratend oder finanziell zur Seite.
Quellen:


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